Warum WM-Projekte immer wieder scheitern
„Wissensmanagement ist doch nichts Neues“ werden sich vermutlich einige beim Lesen denken. Der Einwand ist gerechtfertigt, denn der Begriff tauchte erstmals bereits Mitte der 1990er Jahre auf – allerdings in einer heute als verstaubt geltenden Form von unternehmensinterner „Wissensdatenbank“. Seitdem hat sich einiges getan. Mittlerweile zählen Kollaborationsplattformen, wie etwa Microsoft Teams, zum Mainstream einer Organisations-IT. Im zweiten Beitrag unserer Blogserie „Wissensmanagement“ möchten wir auf aktuelle Herausforderungen und mögliche Stolpersteine bei der Implementierung bzw. Anwendung von Wissensmanagement eingehen.
Technologie vs. Kultur & Mindset
Es ist wirklich beeindruckend, wie rasant sich die Technik in den letzten 20 Jahren entwickelt hat. Auch wenn sie viele Vorteile und Erleichterungen mit sich brachte bzw. immer noch bringt, so kann eine rein technologische Entwicklung kein genereller Heilsbringer für alle Problemstellungen sein. Unternehmensintern rückt daher immer häufiger die Frage nach der Bedeutung von menschlichen und sozialen Elementen in den Mittelpunkt – das gilt auch für Wissensmanagement. Ich bin fest davon überzeugt, dass die Unternehmenskultur und das "Mindset" (also die Haltung der Mitarbeitenden und ihre Bereitschaft zum Teilen von Wissen) die wichtigsten Einflussfaktoren für einen nachhaltigen Erfolg von Wissens-Initiativen sind. Leider sind das jedoch Dinge, die man nicht wirklich managen und messen kann. Deshalb werden Wissens-Initiativen selten als richtige Change-Initiativen aufgesetzt, was dazu führt, dass die User Adoption in diesem Zusammenhang ausgeklammert oder stiefmütterlich behandelt wird. Stattdessen beschränkt man sich beim WM-Projekt auf die reine Tool-Einführung nach dem Motto „Wenn die Technik erst mal steht, ergibt sich der Rest von allein“ und wundert sich anschließend über die niedrige Nutzerakzeptanz der ach so tollen neuen Software.
Um die Erfolgsaussichten eines WM-Projekts zu steigern, ist eine ganzheitliche Betrachtung folgender Bereiche unausweichlich:
„Toolset“ (Technologien & Methoden)
"Ruleset“ (Regeln, Strukturen & Prozesse, auch Governance genannt)
"Skillset“ (Wissen & Fähigkeiten)
„Mindset“ (Haltung & Bereitschaft)
Während sich erstere auf formale Aspekte beziehen, stehen bei den letzten beiden Menschen im Mittelpunkt. Diese vier Sets bedingen sich gegenseitig, d.h. fehlt eines (oder wird es unzureichend berücksichtigt), kann das gesamte System nur einen Teil des möglichen Potenzials ausschöpfen.
Veranschaulichen kann man diesen Zusammenhang am Beispiel von Enterprise Social Networks (ESN), also Kollaborations- oder Wissensmanagement-Plattformen. Die Implementierung eines ESN zeigt den aktuellen Status Quo der Kommunikationskultur inklusiver aller Stärken und Schwächen auf – mit anderen Worten: den Umgang miteinander. Fokussiert man sich auf die rein technologische Einführung eines ESN und vollzieht keinen Wandel der Unternehmenskultur bzw. des Mindsets der User, wird ein ESN nichts weiter bringen als Schweigen und Stille, da es nur ein Tool ist und keinen Kulturwandel per se einläutet. Daher lautet unsere Empfehlung: Arbeiten Sie aktiv an diesem Change Prozess inkl. der zugehörigen User Adoption, binden Sie Ihre Mitarbeitenden ein und ermutigen Sie diese zum Wissensaustausch.
Informations-Überfluss und Auffindbarkeit von Wissen
Eine weitere Herausforderung, die durch den technologischen Fortschritt nicht gelöst, sondern eher noch weiter verschärft wurde, ist der "information overload". Während John Naisbitt in seinem Werk „Megatrends“ schon 1982 (!) betonte, dass wir "in Informationen ertrinken, während wir nach Wissen dürsten", nahm dieser Überfluss in den letzten Jahren exponentiell so richtig Fahrt auf. Durch die schier unendlich weiterwachsende Flut an Informationen und Wissen ist es längst ein Ding der Unmöglichkeit, in Bezug auf ein Thema auf dem Laufenden zu bleiben. Vermutlich werden wir uns in ein paar Jahren ironischerweise an die „gute alte Zeit“ der 2020er erinnern…
Eine ernste Folge davon ist, dass die Auffindbarkeit von relevantem Wissen sich immer weiter verschlechtert - sowohl intern, als auch extern, insbesondere im Internet. Die Ursache liegt jedoch nicht in der fehlenden Lieferung von Suchergebnissen, sondern in der Überforderung, die sprichwörtliche „Stecknadel im Heuhaufen“ zu finden.
Mit Wissensmanagement der Konkurrenz einen Schritt voraus
Heute ist Wissen der wichtigste Wettbewerbsfaktor. Jene Führungskräfte, die das verstanden haben und Wissen zur Chefsache erklären, sichern sich einen Wettbewerbsvorteil gegenüber anderen. Fest steht, dass der Aufbau einer Wissensmanagement-Funktion eine business-kritische Investition für das Überleben der Organisation ist, weil sie Wissensflüsse optimiert und Erfahrungsaustausch ermöglicht. Heute wächst das Verständnis über den engen Zusammenhang von Mensch und Organisation bzw. Technologie. Eine ganzheitliche Betrachtung kann dabei helfen, den Erfolg von Wissens-Initiativen zu erhöhen.
In den kommenden Blogbeiträgen möchten wir einige Lösungsansätze und Maßnahmen dafür vorstellen, die etwa das Sammeln und Teilen von relevantem Wissen in Organisationen unterstützen. Der Schwerpunkt wird dabei auf der individuellen Ebene liegen, d.h. der Unternehmenskommunikation und -kultur. Natürlich werden wir dabei auch die Technologie als Enabler der digitalen Zusammenarbeit berücksichtigen.
Über Rainer Bartl
Rainer Bartl unterstützt in2success in den Bereichen Change Management & Adoption. In den letzten drei Jahrzehnten sammelte er umfangreiche Erfahrungen im Bereich Wissensmanagement und war zuletzt als selbständiger Wissensmanagement-Berater und Coach tätig.